Jens Kemper, Schulleiter am Staatlichen Eifel-Gymnasium Neuerburg, spricht Anfang Januar im Interview mit Sahra Kill, Schülerin der Jahrgangsstufe 12, und Xhunejdi Islami, Schüler der Jahrgangsstufe 11, über Chancen, Risiken und Grenzen des digitalen Unterrichts. 

Sahra: Herr Kemper, seit dem 16. Dezember sind die Schulen erneut geschlossen, weshalb auch wir uns zu diesem Interview via Teams-Videokonferenz treffen. Läuft das Homeschooling aufgrund der Erfahrungen aus dem Frühjahr 2020 jetzt reibungsloser ab?

Kemper: Die Rückmeldungen vom Schulelternbeirat und aus dem Kollegium sind eindeutig: Es läuft reibungslos dank Microsoft 365 in der Business-Version inklusive der Plattform Teams. Abgesehen von Problemen mit Internetverbindungen, die ab und an vorkommen …  Wir können uns also auf das konzentrieren, was wir mit den neuen Medien erreichen wollen: guten Fernunterricht. 

Sahra: Sie haben sich bereits vor Corona dem Thema Digitalisierung gewidmet. Welche Chancen sehen Sie in der digitalen Bildung?

Kemper: Mit neuen Medien kann man andere Lernformen wählen. Wir haben einen größeren Werkzeugkasten zur Wissensvermittlung zur Verfügung. Im Bereich des asynchronen Lernens gibt es große Vorteile: Man kann unterschiedliche Lerntempi besser berücksichtigen. Wer schneller fertig ist, findet digitale Zusatzangebote, mit denen er sich vertiefend weiterbeschäftigen kann, wer langsamer lernt, kann losgelöst vom 45-Minuten-Setting die Aufgaben in seinem eigenen Rhythmus bearbeiten. Es gibt Simulationen für naturwissenschaftliche Fächer. Applets. Das sind alles Bereicherungen. Die Menschheit wird zwar durch die Digitalisierung nicht klüger. Doch hilft sie dabei, bestimmte Sachverhalte schneller zu verstehen und auf individuelle Lerncharakteristika Rücksicht zu nehmen. 

Xhunejdi: Wo sehen Sie Grenzen des digitalen Unterrichts?

Kemper: Es sind nicht allein die Fachinhalte, die die Schüler motivieren. Es braucht auch einen Lehrer vor Ort, der die Inhalte anschaulich vermittelt. Das ist durch nichts zu ersetzen. Eine echte Beziehung zwischen Lehrern und Schülern kann sich nur im direkten Kontakt im Klassenzimmer entwickeln. Das schafft die Digitalisierung nicht. Die digitale Kommunikation muss man als Ergänzung zur echten zwischenmenschlichen Kommunikation sehen. Ich habe insgeheim Angst und Sorge, dass der Lockdown und die soziale Isolation den zwischenmenschlichen Bereich über einen längeren Zeitraum hin schädigen wird. Es wird unsere Aufgabe sein, dass wir die Nähe zueinander, die Menschenliebe wieder hegen und pflegen.

Xhunejdi: Das heißt, der digitale Unterricht kann den Präsenzunterricht nicht komplett ersetzen?

Kemper: Über einen längeren Zeitraum halte ich das für nicht praktikabel. Wir haben schon beim ersten Lockdown gemerkt, dass ein beachtlicher Teil der Schüler zurückbleibt. Man bekommt das kaum mit, weil das Feedbacksystem nicht die gleiche Qualität hat wie im Präsenzunterricht. Deshalb halte ich den Präsenzunterricht für unverzichtbar. Die Nachhaltigkeit des vermittelten Wissens ist dort größer.

Xhunejdi: Was ist mit Schülern, die über keinen Computer und kein Tablet verfügen?

Kemper: Es gab das sogenannte Sofortausstattungsprogramm des Bundes. Den Schulen wurde aufgrund der Corona-Pandemie ermöglicht, mobile Geräte zu ordern. Wir haben 40 Surface Go-Tablets gekauft. Diese sind als Leihgeräte für bedürftige Schüler, die zu Hause keine gute Infrastruktur haben, gedacht – auch über Corona hinaus. Der Kreistag des Eifelkreises Bitburg-Prüm hat zudem eine Ausstattung aller Schüler an kreiseigenen Schulen mit einem iPad beschlossen. Die Eltern werden an den Kosten beteiligt, wobei Personen ausgenommen sind, denen Lernmittelfreiheit bewilligt wurde. Dieser Kreistagsbeschluss bedeutet, dass Schüler, die im Eifelkreis wohnen und in der 7. Klasse zu uns kommen, schon ein iPad mitbringen werden. Darüber hinaus haben wir Leihgeräte, sodass wir das Arbeiten aller Schüler mit iPads sicherstellen können. Zudem hat das Eifel-Gymnasium einen Klassensatz iPads angeschafft. Diese stehen grundsätzlich allen Schülern zur Verfügung. Primär sollen sie in den siebten Klassen im neuen Unterrichtsfach „Informatik|Digitale Medien“ (siehe Infokasten) eingesetzt werden. 

Xhunejdi: Soll es denn eine reine Tablet-Klasse geben?

Kemper: Nein. Es muss auch Auszeiten geben, in denen die Handschrift geschult wird. Es gibt Themen, die sich sehr gut mit dem Tablet bearbeiten lassen und solche, die man besser im herkömmlichen Schulheft erledigt. Das muss sich abwechseln. 

Xhunejdi: Manche Lehrer nutzen Teams und Smartboard sehr intensiv und die Schüler nutzen im Unterricht Tablets statt Papier und Stift. Andere Lehrer setzen digitale Medien wenig ein. Ist für die Zukunft ein einheitlicheres Unterrichtskonzept geplant?

Kemper: In jedem Fach sollten digitale Medien zu einem gewissen Prozentsatz eingesetzt werden. Wir als Schulleitung und ich als Schulleiter werden zusammen mit Fortbildungsdienstleistern dafür Sorge tragen, dass auch die Kollegen, die technisch nicht so fit sind, geschult werden, damit auch sie in ihrem Unterricht solche Medien anwenden.

Xhunejdi: Wie sehen Sie die Bereitschaft der Lehrer, sich dem Thema digitale Bildung zu widmen?

Kemper: Die Bereitschaft ist sehr groß, alle sind aufgeschlossen. Selbst Kollegen kurz vor der Pensionierung wagen sich an die neuen Medien heran. Es ist normal, dass das vielleicht nicht so souverän ist, wie bei Kollegen, die gerade aus dem Referendariat kommen. Da muss man den höheren Altern Respekt zollen. Wir haben ein kleines Netzwerk aufgebaut, eine Art Fortbildung-Task-Force aus zehn Kollegen, die sich gut mit der Thematik auskennen und andere Lehrer als Tutoren unterstützen. Jeder hat einen persönlichen Ansprechpartner, wenn er zum Beispiel in Teams ein Problem hat, und kann sich an diesen wenden. 

Sahra: Es fällt auf, dass Lehrer und Schüler teilweise ähnliche Probleme mit Teams haben und dass auch in der Schule aufgrund technischer Schwierigkeiten etwa mit dem Smartboard oft Unterrichtszeit verlorengeht. Was halten Sie von der Idee, dass eine Gruppe aus Lehrern und Schülern sich zusammensetzt, um zusammen über Probleme zu sprechen und eine gemeinsame Arbeitsstruktur zu erarbeiten?

Kemper: Das ist eine sehr gute Idee! Die Fortbildung-Task-Force, von der ich gerade sprach, bringt bereits ihre Erfahrungen ein: Das Feedback nutzen wir, um die Hardwarestruktur zu optimieren und uns besser aufzustellen. Eure Erfahrungen nehmen wir gern mit auf – die Schülerperspektive ist ganz wichtig, ihr seid ja auch Experten für guten Unterricht. 

Xhunejdi: Was antworten Sie Schülern, die lieber analog mit der Hand schreiben als zum Beispiel ihre Hausaufgaben am Computer zu machen?

Kemper: Ich biete meinen Schülern an, ein Foto ihrer handschriftlichen Hausaufgabe in Teams hochzuladen. Entscheidend ist der Inhalt: Eine Hausaufgabe, die auf Altväter-Art mit Stift und Papier gut gelöst wurde, ist wertvoller als eine schlecht gemachte, die am Computer entstanden ist und mit digitalem Schnickschnack aufgepeppt wurde. 

Sahra: Glauben Sie, dass es irgendwann eine einheitliche Lernplattform für alle Schulen in Rheinland-Pfalz gibt, die Teams bei uns ablöst?

Kemper: Nein. Ich bin davon überzeugt, dass nur ein privatwirtschaftliches Unternehmen, das im internationalen Wettbewerb steht, über die finanziellen Ressourcen verfügt, ein wirklich gut funktionierendes Lehr- und Lernsystem zu entwickeln. Landeseigene Lösungen erreichen diese Qualität nie. Die Ausfälle, die wir dort seit Unterrichtsbeginn am 4. Januar beobachten, kann sich ein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen nicht leisten. Der Konkurrenzdruck des Marktes sorgt für eine bessere Qualität. Meiner Meinung nach wären alle Bundesländer besser beraten, auf privatwirtschaftliche Systeme zu setzen und mit den Anbietern gute Konditionen auszuhandeln. Das ist ressourcenschonend und spart letztendlich auch Steuergeld. 

Sahra: Blicken Sie mal fünf Jahre in die Zukunft: Wie sieht Unterricht am Eifel-Gymnasium im Jahr 2025 aus?

Kemper: Idealerweise sitzen wir wieder im Präsenzunterricht. Aber nicht mehr so statisch wie jetzt. Meine Schulstunde in fünf bis zehn Jahren sieht so aus: Es gibt ein kurzes Einstiegsszenario. Danach verteilen sich die Schüler im Haus, wo sie sich in Lernzonen zurückziehen können, in denen sie allein oder in kleinen Gruppen im eigenen Lerntempo und unterstützt von Online-Angeboten an Aufgaben arbeiten. Hausaufgaben werden online eingestellt, von den Schülern heruntergeladen und bearbeitet. Ich wünsche mir, dass das starre Sitzen im Klassenzimmer über 45 Minuten, dass diese Struktur aufgebrochen wird. Ich stelle mir vor, dass das gesamte Schulgebäude zu einem großen Lehr- und Lernraum wird, in dem man sich frei bewegen kann.

INFOKASTEN

Digital-Strategie am Eifel-Gymnasium

Seit diesem Schuljahr steht allen Mitgliedern der Schulgemeinschaft die gesamte Microsoft 365-Palette in der mit der EU Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) konformen Business-Variante zur Verfügung. Während des zweiten Lockdowns wurde Microsoft Teams als einheitliche Unterrichtsplattform genutzt.  Die Office-Anwendungen inklusive Teams werden auch im Präsenzunterricht eingesetzt. Bereits seit einigen Jahren sind alle Klassenräume mit Dokumentenkameras und interaktiven Whiteboards ausgestattet. Da einige aufgrund ihres Alters ausgetauscht werden mussten, wurden und werden in diesem Schuljahr 15 neue Whiteboards mit interaktivem Touchdisplay mithilfe des Digitalpakts Schule, mit dem Bund und Länder für eine bessere Ausstattung der Schulen mit digitaler Technik sorgen wollen, angeschafft und installiert. Über das Sofortausstattungsprogramm des Bundes wurden zudem 40 Surface Go-Tablets bestellt. Außerdem hat das Eifel-Gymnasium einen Klassensatz iPads angeschafft. In Planung ist das neue Unterrichtsfach „Informatik|Digitale Medien”. Es wird zurzeit in den 7. Klassen eingeführt. In diesem sollen unter anderem Grundlagen der Programmierung, Anwendung von Hard- und Software, Robotik und das Zehnfingersystem gelehrt werden. Auch Medienkompetenz und -ethik sollen Inhalte des neuen Fachs sein.

Dieses Interview entstand im Rahmen des Workshops „Journalistisches Schreiben”

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Foto: Screenshot des Video-Gesprächs über digitale Bildung: Schulleiter Dr. Jens Kemper, Sahra Kill und Xhunejdi Islami.